Von Dipl.-Betriebswirt Dirk Hammes, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, und Rechtsanwalt Jens Mansfeld
Die Geschäftsführer und Vorstände in deutschen Unternehmen sehen sich ständig einer Vielzahl von Herausforderungen bei der Anpassung des eigenen Unternehmens an die sich stetig wandenden Verhältnisse der Märkte ausgesetzt. Sie haben die Aufgabe, für die sich ändernden rechtlichen und gesamtwirtschaftlichen Bedingungen eine Strategie zu entwickeln und in eine realisierbare Planung umzusetzen. Dabei müssen die Unternehmensleiter insbesondere die wirtschaftliche Situation ihres Unternehmens ständig genau erfassen, analysieren und konsequente Maßnahmen bei Fehlentwicklungen ergreifen und durchsetzen. Die Anforderungen sind also sehr hoch.
Es verwundert daher auch nicht, dass nicht alle Unternehmensleiter solchen Herausforderungen gewachsen sind. Häufig erkennen sie eine Krise ihrer Organisation zu spät, oder sie steuern dem negativen Trend nicht konsequent genug entgegen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind jedoch sehr streng. Die Insolvenzordnung verlangt von Geschäftsführern und Vorständen, sofort nach Eintritt der materiellen Insolvenz eines Unternehmens auch einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO). Die häufig unzutreffende Auffassung, es verbliebe nach Eintritt der materiellen Insolvenz noch ein Karenzzeitraum für die Insolvenzantragstellung, trifft nicht zu. Nur wenn später realistische Sanierungschancen nachgewiesen werden können, bleiben drei Wochen, um die Insolvenz abzuwenden.
Knackpunkt in der Insolvenzantragstellung
Die materielle Insolvenz eines Unternehmens ist eingetreten, wenn es zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO) ist. Dabei stellt sich, wie die Praxis zeigt, häufig die Frage, woran ein Unternehmensorgan diese Aspekte eigentlich erkennt – ein Knackpunkt in der Insolvenzantragstellung. Die Zahlungsunfähigkeit tritt ein, wenn ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht im Wesentlichen (zu 90 Prozent) innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes von ca. drei Wochen begleichen kann. Die Zahlungsunfähigkeit knüpft dabei an das Fehlen der notwendigen Liquidität an. Ein Insolvenzantrag muss durch die Unternehmensleitung auch dann gestellt werden, wenn das Unternehmen überschuldet ist. Dies ist dann der Fall, wenn alle liquiden und liquidierbaren Vermögenswerte nicht ausreichen, um die Verbindlichkeiten vollständig zu decken. Können auch aus mittelfristig realistisch zu erwartenden Erträgen die Verbindlichkeiten nicht vollständig zurückgeführt werden, besteht ebenfalls Insolvenzantragspflicht. Sofern nicht von reinen Interessen der Mandatserhaltung getrieben, sollte der Steuerberater frühzeitig über die drohenden Ereignisse informieren.
Es ist häufig zu beobachten, dass das „Prinzip Hoffnung“ an die Stelle einer realistischen und soliden Unternehmensplanung tritt. Die Grenzen der Bilanzpolitik werden immer weiter ausgedehnt, statt strategischer Aufstellung steht im Fokus der Unternehmensführung, die Liquidität unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Viele Unternehmensleiter gehen auch nach Eintritt der materiellen Insolvenz noch davon aus, den „Turnaround“ aus eigener Anstrengung schaffen zu können. Der richtige Zeitpunkt, einen Insolvenzantrag zu stellen, wird in der Regel verpasst. Dies vermindert die Chancen, das Unternehmen in einem Insolvenz beziehungsweise Insolvenzplanverfahren zu restrukturieren. Dabei bietet die Insolvenzordnung rechtliche Instrumente, die eine Sanierung deutlich erleichtern. Moderne Insolvenzverwaltung ist – wenn es die Unternehmenssubstanz zulässt – sanierungsgetrieben. Schließlich trägt der Erhalt eines Schuldners in den allermeisten Fällen zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger als Grundvoraussetzung des Insolvenzverfahrens bei. Sanierungserfahrung und -affinität sind für einen Insolvenzverwalter heute unabdingbar, um zukunftsgerichtete Lösungen für ein insolventes Unternehmen zu entwickeln. Der „Konkursverwalter“ alter Schule als Liquidator hat in der Form ausgedient.
Stigma vermeiden
Doch woran liegt es, dass Insolvenzanträge oft nicht zeitig gestellt werden? Realisierbare Konzepte für eine nachhaltige Sanierung und Beseitigung der Krisenursachen stehen nicht rechtzeitig zur Verfügung oder sind häufig ungeeignet oder unzureichend. Vielen Unternehmensleitern geht es deshalb vor allem darum, das Insolvenzverfahren und das damit einhergehende Stigma zu vermeiden. Daran haben auch die Regelungen des im März 2012 in Kraft getretenen ESUG, dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, kaum etwas geändert.
Vielen Unternehmensleitern fällt es sehr schwer, die wirtschaftliche Situation des eigenen Unternehmens richtig einzuschätzen. Das liegt oft daran, dass die Förderung des operativen Geschäfts als weit wichtiger eingestuft wird, als die Überwachung und Steuerung des Unternehmens. Gerade in Phasen des Wachstums wird das Controlling nicht an die Größe des Unternehmens angepasst. Die wesentlichen Parameter, aus denen sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ergeben, werden weder zutreffend erfasst noch mit der notwendigen Sorgfalt ausgewertet. Es findet keine Anpassung des Unternehmens an die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen statt, und es wird übersehen, dass ein funktionierendes Controlling des Unternehmens auch bei vollen Auftragsbüchern entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg und die Vermeidung der Krise ist.
Dabei hat die verspätete Stellung des Insolvenzantrages drastische Konsequenzen für die Unternehmensleiter. Der § 15a InsO sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren für den Tatbestand der Insolvenzverschleppung vor. Es handelt sich also mitnichten um ein Kavaliersdelikt. Vielmehr wird jeder Insolvenzantrag über die Pflichtenmitteilungen in Zivilsachen (MiZi) auch der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Prüfung vorgelegt. Ergibt sich ein ausreichender Anfangsverdacht für eine Insolvenzverschleppung, wird die Staatsanwaltschaft auch die Ermittlungen aufnehmen.
Anhaltspunkte für eine Haftung der Unternehmensleiter
Auch die zivilrechtlichen Folgen einer verspäteten Insolvenzantragstellung können sich für Geschäftsführer und Vorstände verheerend auswirken. Die Insolvenzverwalter werden in der Regel ermitteln, ob sich Anhaltspunkte für eine Haftung der Unternehmensleiter ergeben. So sehen § 64 GmbHG, § 92 AktG, §§ 130 a, 177 a HGB vor, dass die Unternehmensleiter nach Eintritt der Insolvenzreife keine Zahlungen mehr aus dem Vermögen der Gesellschaft leisten dürfen. Wird der Betrieb dennoch fortgesetzt und die laufenden Rechnungen bezahlt, so sind sämtliche Zahlungen an die Insolvenzmasse zu erstatten. Die hieraus resultierende Haftung übersteigt gerade bei umsatzstarken Handelsunternehmen sehr schnell die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Geschäftsführern und Vorständen und kann in der Konsequenz auch zur Insolvenz im Privatvermögen führen. Zu beachten ist auch, dass in der Regel sogar Zahlungen an die Gesellschaft, die auf debitorisch (also im „Soll“) geführten Geschäftskonten eingehen, solche zu ersetzenden Zahlungen der Gesellschaft darstellen.
Diese rigorosen Haftungsvorschriften sollen die Unternehmensleiter eigentlich dazu veranlassen, die wirtschaftliche Situation des Unternehmens genau zu überwachen und unverzüglich nach Eintritt der Insolvenzreife auch einen entsprechenden Insolvenzantrag zu stellen. Diese abschreckende Wirkung tritt jedoch in der Regel nicht ein, weil viele Geschäftsführer und Vorstände keine konkreten Vorstellungen von ihrer rechtlichen Lage haben. Häufig werden die potenziellen persönlichen Konsequenzen aber auch ausgeblendet, um die Rettung des eigenen Unternehmens doch noch zu ermöglichen. Denn mit der Insolvenz geht zumeist auch das Gefühl eines persönlichen Versagens und gesellschaftlichen Abstiegs einher. Dies ist besonders aus dem Mittelstand bekannt, wo Geschäftsführer und (Allein-)Gesellschafter oft ein und dieselbe Person sind. Um dieses Gefühl zu vermeiden, greifen einige Unternehmensleiter auch zu Maßnahmen, die als Bankrottdelikte sowohl strafrechtlicher Verfolgung unterliegen als auch zu einer persönlichen zivilrechtlichen Haftung führen. Die unzutreffende Bewertung von Vorräten und Forderungsbestand, die Gewährung von Vorteilen für einzelne Gläubiger und das Beiseiteschaffen von Vermögenswerten sind häufige Begleiterscheinungen der Insolvenzverschleppung. Ein gründlicher Insolvenzverwalter wird häufig die Möglichkeit haben, solche Vorgänge aufzudecken – mit den entsprechenden Konsequenzen für Geschäftsführer und Vorstände, die dann in Haftung genommen werden, um die Quoten für die Gläubiger zu erhöhen.
Rettungsversuche kommen oft zu spät
In der Krise der Unternehmen schlägt die Stunde der Sanierungs- und Restrukturierungsberater. Wenn die Unternehmensleitung erkennt, dass sie die Krise nicht mehr alleine bewältigen kann, wird versucht, die Existenz des Unternehmens durch Mitwirkung externer Berater zu sichern. Gelegentlich ist die Einschaltung eines externen Beraters auch Bedingungen der Hausbank, ihr Engagement weiterhin fortzusetzen. Doch allzu häufig sind diese Rettungsversuche zu spät oder bereits im Ansatz ungeeignet, um den Sanierungserfolg herbeizuführen. Das Verhältnis zwischen Geschäftsleiter und Sanierungsberater ist ambivalent. Ungern machen sich Sanierungsberater durch schlechte Nachrichten oder gar die Empfehlung zur Insolvenzantragstellung selbst überflüssig. Die Beratung wird dann einfach weiter fortgesetzt, obgleich die Aussichten einer erfolgreichen Sanierung nur noch minimal oder gar nicht vorhanden sind. Selten haben die Berater das Rückgrat, durch einen richtigen Ratschlag das Mandat selbst zu beenden.
Erfahrungsgemäß wird die Beratung auch in völlig aussichtslosen Fällen erst dann nicht mehr fortgesetzt, wenn auch die Rechnungen des Beraters nicht mehr bezahlt werden können. Teilweise ist sogar festzustellen, dass erst die teilweise erheblichen Kosten der Sanierungsberatung die Krise hin zu dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit verschärft haben. Diese Mittel stehen dann zudem für eine Sanierung im Rahmen des Insolvenzrechts nicht mehr zur Verfügung, was möglicherweise eine Rettung verhindert. Wenngleich den Insolvenzverwaltern vormals der Geruch der Leichenfledderei anhaftete, so entsteht mitunter der Eindruck, dass die schwarzen Schafe unter den Beratern nichts unversucht lassen, den Verwaltern insofern den Rang abzulaufen.
Konsequente Entwicklung einer langfristigen Unternehmensstrategie
Zur Vermeidung der nachteiligen Folgen einer Insolvenzverschleppung ist daher erforderlich, gerade bei einer sich abzeichnenden Krise des Unternehmens rechtzeitig die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Die ständige Aufstellung und Aktualisierung der Liquiditäts- und Ertragsplanung, die genaue Analyse von betriebswirtschaftlichen Auswertungen und Jahresabschlüssen und die konsequente Entwicklung einer langfristigen Unternehmensstrategie sind für einen dauerhaften Erfolg unerlässlich. Zeichnet sich eine Krise ab, sollte auf der Grundlage einer gründlichen Analyse und einer realistischen Planung entsprechend gegen gesteuert werden. Oft ist hilfreich, sich kompetenter und branchenerfahrener externer Beratung zu bedienen, um einer sich abzeichnenden Krise rechtzeitig und effektiv entgegensteuern zu können. Allerdings sollte stets kritisch hinterfragt werden, wie nutzbringend die Beratung tatsächlich für das Unternehmen ist. Der externe Berater sollte nicht das Feigenblatt sein, mit dem das Fehlen von eigener Übersicht und eigenen Konzepten für die Krisenbewältigung verdeckt wird. Und ohne wirkliche Einschnitte und harte Maßnahmen lassen sich vorinsolvenzrechtliche Sanierungsmaßnahmen regelmäßig auch nicht durch- und umsetzen.
Von besonders großer Bedeutung ist letztendlich, rechtzeitig die Entscheidung für die Insolvenzantragstellung zu treffen, wenn sich die Krise des Unternehmens zum Eintritt der materiellen Insolvenz fortentwickelt hat. Nur in diesem Fall können die durch das ESUG vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Sanierungsmöglichkeiten auch sinnvoll umgesetzt werden. Ohne eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung ist nicht nur die Sanierung des eigenen Unternehmens ausgeschlossen, auch die persönlichen Konsequenzen für Geschäftsführer und Vorstände werden sich häufig nicht vermeiden lassen. Ein betriebswirtschaftlich versierter Insolvenzverwalter und Rechtsanwalt kann beispielsweise als Begleiter an die Seite geholt werden, um hinsichtlich der rechtlich notwendigen Schritte bis hin zur Insolvenzantragstellung zu beraten und damit die juristischen und wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen und Organ(e) abzumildern. Denn die Insolvenz ist nicht automatisch das Ende, sondern Chance für einen Neuanfang.