Viele Unternehmen könnten über eine Sanierung unter Insolvenzschutz gerettet werden, wenn die Geschäftsleiter frühzeitig den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen würden. Denn jede Verzögerung macht es komplizierter, ein Unternehmen noch zu retten. Das zeigen zwei aktuelle Verfahren. Daher kommt es darauf an, in einer Krise schnell und ohne Scheuklappen zu reagieren.

Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht Mark Steh, Inhaber von hammes. Insolvenzverwalter

In einer unternehmerischen Krise ist schnelles Handeln gefragt. Das zeigt die Praxis immer wieder. Denn nur wer schnell und konsequent handelt, kann die Kontrolle behalten und eigene Entscheidungen treffen, die die Zukunft positiv beeinflussen können. Zu zögern heißt, Chancen und Möglichkeiten einzubüßen. Das gilt auch dann, wenn der Weg zur Lösung einer schwerwiegenden unternehmerischen Krise über ein Regelinsolvenzverfahren führt.

Schließlich bedeutet die Insolvenz entgegen der langläufigen Meinung nicht das Ende, und der Unternehmer verliert nicht automatisch die Kontrolle über seine Firma. Das liegt daran, dass das seit 1999 geltende Insolvenzrecht (Insolvenzordnung – InsO) einen Schwerpunkt darauflegt, ein insolventes Unternehmen zu sanieren, und dafür zahlreiche Instrumente bereitstellt.

Je weiter die Krise fortschreitet, desto weniger ist zu retten

Es ist eben nur sehr wichtig, hiermit rechtzeitig zu beginnen und den Insolvenzantrag früh genug zu stellen. Damit soll zum einen möglichst viele Sanierungsmöglichkeiten erhalten werden, zum anderen wird verhindert, dass eine Haftungssituation für den Geschäftsführer eintritt, die sich mit weiterem Zeitablauf stetig verschlimmert. Entscheidend ist also, dass Unternehmer sich nicht allzu lange Zeit nehmen, wenn die Krisenzeichen sich verdichten. Je weiter die Krise fortschreitet, desto weniger ist in der Regel zu retten und desto schlechter sind die Möglichkeiten, die Substanz des Unternehmens zu erhalten und durch eine leistungs- und finanzwirtschaftliche Sanierung neue Potenziale für die Zukunft herzustellen. Es ist ratsam, schnell professionelle Hilfe zu holen, anstatt bis zum bitteren Ende selbst nach scheinbaren Lösungen zu suchen, die schlussendlich keinen Wert haben.

Zwei aktuelle Beispiele aus der Insolvenzverwalterpraxis von hammes. Insolvenzverwalter zeigen, wie wichtig eine hohe Geschwindigkeit und Entscheidungsfreudigkeit ist. Es handelt sich dabei um langjährig am Markt etablierte Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe. In beiden Fällen ist die Schuldnerin zahlungsunfähig und überschuldet, und es bestehen keine Möglichkeiten mehr für eine Fortführung der Unternehmen, weil die Geschäftsführer den richtigen Zeitpunkt für die Insolvenzantragstellung verpasst und „auf’s falsche Pferd gesetzt haben“.

In der akuten Krise Verbindlichkeiten bei mehr als 120 Gläubigern

Im Fall eines kunststoffverarbeitenden Unternehmens ist rückblickend spätestens im Mai 2021 die Insolvenzreife der Schuldnerin festzustellen, während erst Anfang Februar 2022 durch einen Gläubiger ein Insolvenzantrag gestellt worden ist. Aufgrund der fortschreitenden Verschärfung der Liquiditätslage konnte die Insolvenzschuldnerin am Ende die Löhne der Mitarbeitenden nicht mehr bezahlen, was die Betriebseinstellung Anfang Januar 2022 zur Folge hatte. Dabei war schon im Mai 2021 ein Insolvenzantrag vorbereitet, aber eben nicht gestellt worden. Stattdessen hat man sich auf einen „Investor“ eingelassen, der versichert hatte, das Unternehmen zu sanieren. Geschehen ist dies indes nicht. Es sind hohe Verbindlichkeiten gegenüber mehr als 120 Gläubigern aufgelaufen, unter anderem Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer für fünf Monate. Aufgrund des Verlustes der unternehmerischen Substanz durch die deutlich verspätete Insolvenzantragstellung verliefen alle Gespräche in Hinblick auf eine Sanierung des Geschäftsbetriebs bereits im Anfangsstadium ergebnislos. Wäre der Insolvenzantrag bereits im Mai 2021 gestellt worden, wären die Perspektiven für eine hätte eine Betriebsfortführung und Sanierung sehr vielversprechend gewesen.

Deutliche Mängel in der kaufmännischen Unternehmensführung als Insolvenzgrund

Auch ein Unternehmen aus dem Wärme-, Kälte-, Schall- und Brandschutz mit über 70 Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Auszubildenden war aufgrund eines verspäteten Insolvenzantrags nicht mehr sanierungsfähig. Der Eigenantrag wurde Mitte Juli 2022 gestellt. Zu diesem Zeitpunkt bestanden bereits Lohn- und Gehaltsrückstände von rund 2,5 Monaten. Der größte Teil der Belegschaft hatte daher schon gekündigt oder von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht. Es fand nur noch ein rudimentärer Geschäftsbetrieb statt, eine positive Fortführungsprognose war nicht mehr zu stellen. Ein frühzeitiger Insolvenzantrag hätte zumindest einen M&A-Prozess ermöglicht und Sanierungschancen geboten.

Keine falsche Scheu vor Insolvenzantrag

Das bedeutet zusammengefasst: Es ist wichtig, dass Unternehmer und Geschäftsleiter keine Scheu haben, sich rechtzeitig mit solchen Fragen auseinanderzusetzen, schnell zu handeln, nicht zu zögern und damit Verantwortung für das Unternehmen selbst, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu übernehmen. Es ist nicht ehrenrührig, die Insolvenzordnung für die Sanierung des Unternehmens zu nutzen. Aber es wäre höchst fragwürdig, vor betriebswirtschaftlichen Risiken die Augen zu verschließen. Es geht um nicht weniger als den Fortbestand eines Unternehmens.