Der Fachkräftemangel führt bereits dazu, dass Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, weil ihnen die Mitarbeitenden für ihren operativen Geschäftsbetrieb fehlen. Die staatliche Rettung eigentlich nicht wettbewerbsfähiger Unternehmen im Rahmen der Covid 19-Regularien sind mitursächlich für diese Situation. Dieser Effekt wird durch die Unterstützungsversuche der Regierung in der Energiekrise perpetuiert.

Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht Mark Steh, Inhaber von hammes. Insolvenzverwalter

Derzeit ist es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so leicht wie kaum jemals zuvor, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gab es im zweiten Quartal 2022 1,93 Millionen offene Stellen, also elf Prozent mehr als im ersten Quartal. Das ist ein Rekordwert. Zwischen Juli 2021 und Juli 2022 fehlten in Deutschland über alle Berufe hinweg mehr als eine halbe Million Fachkräfte. Das geht aus einer Studie des Instituts für deutsche Wirtschaft Köln (IW) hervor. Insgesamt fehlten 537.923 qualifizierte Arbeitskräfte.

Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), sagt dazu: „Der Fachkräftemangel ist hierzulande eine der drängendsten Herausforderungen der Unternehmen.“ Nach einer jüngeren DIHK-Umfrage sehen 56 Prozent der Unternehmen im Fachkräftemangel ein Geschäftsrisiko und laut DIHK habe die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland (51 Prozent) unbesetzte Stellen. Der DIHK-Fachkräftereport 2021 sieht gravierende Folgen unter anderem in der Mehrbelastung der Belegschaften (61 Prozent) und steigenden Arbeitskosten (58 Prozent).

Kleinere Unternehmen gewinnen kaum noch qualifiziertes Personal

Das betrifft so gut wie alle Branche, aber eben manche ganz besonders. Mittlerweile dauert es durchschnittlich 118 Tage, bis eine offene Stelle wiederbesetzt wird. Vor allem kleinere Unternehmen gewinnen kaum noch qualifiziertes Personal. Besonders in der Altenpflege und in einzelnen Handwerksbereichen liegen die Zahlen deutlich höher, nämlich 238 beziehungsweise 230 Tage. Das liegt unter anderem am demografischen Wandel und der damit verbundenen schrumpfenden Anzahl an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dieser Faktor werde das Beschäftigtenpotenzial in den kommenden 15 Jahren nochmals um vier bis sechs Millionen Menschen verringern, betont DIHK-Präsident Peter Adrian. Er fordert eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um die Erwerbstätigkeit von Eltern, insbesondere von Frauen, weiter zu steigern. Andererseits sollte auch die Zuwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten deutlich einfacher werden.

Mehr Insolvenzen: Dramatische Situation wird sich ausweiten

Dass dieser Fachkräftemangel nicht nur theoretische, statistische Auswirkungen haben könnte, zeigt die Praxis in der Insolvenzverwaltung. Rechtsanwalt Mark Steh, Inhaber der Kanzlei hammes. Insolvenzverwalter, begegnet in den ihm übertragenen Verfahren zunehmend Fällen, in denen Unternehmen aus dem Handwerk Insolvenz unter anderem wegen fehlender Mitarbeiter anmelden mussten. Sie waren aufgrund der Personalsituation nicht mehr in der Lage, ihren Geschäftsbetrieb in hinreichendem Umfang aufrecht zu erhalten. Das ist eine dramatische Situation, die sich ausweiten wird. Neben den allgemeinen Krisenfaktoren wie steigenden Energiekosten, der Lieferkettenproblematik und steigenden Zinsen in Kombination mit der hohen Inflation wirken sich auch bestimmte politische Entscheidungen heute negativ auf die Geschäftslage in vielen Unternehmen aus – eben durch einen großen Einfluss auf die Personalsituation.

Substanzschwache Unternehmen wurden gerettet

Die im Rahmen der Corona-Krise eingeführte, befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie eine Unterstützung von Unternehmen in Form des Kostenersatzes sollte aus Regierungssicht ein wichtiger Schritt sein, um den wirtschaftlichen Schaden durch die Covid-19-Krise zu begrenzen. Es sollte Unternehmen erlauben, bei Corona-bedingten Insolvenzgründen keinen Antrag stellen zu müssen, um aus eigener Kraft die Krise überwinden können und nicht ins Insolvenzverfahren müssen. Es sollten damit jedoch keine Unternehmen gerettet werden, die bereits vorher in der Krise steckten. Hinzu kamen gigantische finanzielle Hilfsleistungen für unter den Auswirkungen Pandemie und der staatlichen Pandemiebekämpfung leidende Unternehmen.

Das Problem: Nicht wenige dieser Unternehmen hatten bereits mit Beginn der Pandemie wirtschaftlich eigentlich keine Daseinsberechtigung mehr. Sie haben in den wirtschaftlichen guten 2010er Jahren nur durch Nullzins-Finanzierungen und überleben können, aber nicht, weil ihr Geschäftsmodell und ihre ökonomische Substanz tragfähig waren. Somit sind viele Unternehmen, deren Marktaustritt auch ohne die Pandemie-Effekte erfolgt wäre, zuerst durch billiges Geld und dann durch staatliche Interventionen künstlich am Leben erhalten worden. Und wenn jetzt die nächsten Stimmen laut werden, dass der Staat Unternehmen vor den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und dessen Folgen retten muss, wird diese Spirale wieder starten.

Rettung von Unternehmen ohne jedes Augenmaß als Problem

Das wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Denn viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in substanzschwachen, letztlich nicht zukunftsfähigen Unternehmen gebunden und stehen damit dem Arbeitsmarkt für einen Wechsel nicht oder nur mittelbar zur Verfügung. Während also Unternehmen ohne wirkliche Zukunft über Personal verfügen, können andere, eigentlich wirtschaftlich leistungsfähige Unternehmen ihren Personalbedarf nicht decken. Im schlimmsten Fall büßen diese selbst ihre wirtschaftlichen Chancen ein. Hätte der Staat aber auf die Rettung von Unternehmen ohne jedes Augenmaß verzichtet, wäre diese Situation vermeidbar gewesen.

Die Zahlen belegen, dass die Vorgabe des Staates, keine ohnehin beschädigten Unternehmen retten zu wollen, verfehlt worden ist. Im Jahr 2020 haben die deutschen Amtsgerichte 15.841 Unternehmensinsolvenzen gemeldet. Das waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 15,5 Prozent weniger als 2019. Mit 19.900 Unternehmensinsolvenzen wurde 2018 wiederum der niedrigste Wert seit 1994 (18.820 Fälle) registriert. 2017 wurden 20.140 Unternehmensinsolvenzen gemeldet. Das heißt, dass in einer wirtschaftlich sehr erfolgreichen Zeit die Zahl der Unternehmensinsolvenz deutlich über der Quote in der ökonomischen Corona-Krise gelegen hat.

Man erkennt also leicht, dass die staatlichen Eingriffe dazu geführt haben, die Anzahl der Unternehmen am Markt künstlich hochzuhalten und notwendige Marktbereinigungen zu verhindern. Auch dadurch stehen wir jetzt vor der dramatischen Fachkräftesituation, die ausschlaggebend für einen neuen Insolvenzzyklus sein kann.