Die bisherigen Zahlen zeigen keine Insolvenzwelle. Darüber, ob es zu einer solchen kommen wird, streiten die Experten. Jedoch scheint sich langsam eine Normalisierung bei der Zahl der Unternehmensinsolvenzen einzustellen. Weitreichende staatliche Interventionen haben zuletzt verhindert, dass eigentlich insolvenzreife Unternehmen den Weg ins Insolvenzverfahren gehen.

Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht Mark Steh, Inhaber von hammes. Insolvenzverwalter

Das Statistische Bundesamt hat zuletzt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen für das erste Halbjahr des Jahres 2022 veröffentlicht. Demnach ist die Zahl der beantragen Unternehmensinsolvenzen in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um vier Prozent gefallen. Und nach vorläufigen Angaben sind die beantragen Unternehmensinsolvenzen im September 2022 um 20,6 Prozent gegenüber August 2022 gesunken. Zugleich hatte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) 34 Prozent mehr Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften gemeldet als im September 2021. Noch vor einem Monat hatte die Insolvenzprognose des IWH für September einen Anstieg um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr vorhergesagt. Für Oktober lassen die Frühindikatoren des IWH ebenfalls deutlich höhere Insolvenzzahlen erwarten, die etwa ein Drittel über denen von Oktober 2021 liegen werden. Im November könnten die Vorjahreswerte sogar um 40 Prozent übertroffen werden. Für das Gesamtjahr ist trotz der schnell steigenden Zahlen lediglich ein Zuwachs zwischen zwölf und 14 Prozent zu erwarten, da die Insolvenzzahlen in der ersten Jahreshälfte noch leicht unter dem Vorjahresniveau lagen, meldet das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Hinweise auf neuerliche Erleichterung bei der Insolvenzantragspflicht

Auf eine Welle bei den Unternehmensinsolvenzen deuten diese Zahlen trotz allem nicht hin. Es ist vielmehr eine Normalisierung, denn die Zahlen der vergangenen Jahre sind im historischen Durchschnitt und gerade hinsichtlich der erheblichen Krisen seit Anfang 2020, die Unternehmen aus vielen Branchen stark getroffen haben, waren extrem niedrig. Das lag/liegt vor allem an den weitreichenden staatlichen Interventionen, die mit Ausbruch der COVID-19-Pandemie begonnen haben. Ob es die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die finanziellen Hilfen waren oder jetzt die Aussicht auf weitere Staatshilfen sind, die möglicherweise zu einer Erleichterung bei der Insolvenzantragspflicht für „Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind“. Die Reglungen im dritten Entlastungspaket der Bundesregierung knüpfen an die Regelungen an, die anlässlich der COVID-19-Pandemie erlassen worden sind. Daher ist das bisherige speziell für die COVID-19-Pandemie erlassene COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), grundsätzlich auf Krisensituationen ausgedehnt worden. Das COVInsAG ist daher in „Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen“ (SanInsKG) umbenannt worden.

Staatliche Rettung von Unternehmen ohne positive Zukunftsprognose

Diese Gesetzesänderung  ist ein Zeichen dafür, dass der Staat also weiterhin versuchen will, eine befürchtete Insolvenzwelle zu verhindern. Das mag im Sinne der wirtschaftlichen Stabilität und des Arbeitsmarktes sinnvoll erscheinen und soll verhindern, dass auch gesunde Unternehmen beispielsweise durch die drohende Explosion bei den Energiepreisen an den Rand der Existenz gebracht werden. Aber es ist zugleich auch ein Problem, denn es wurden und werden eben nicht nur „Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind“ gerettet, sondern auch viele, die aufgrund fehlender Substanz kaum positive Zukunftsaussichten haben.

Daher ist die Normalisierung bei den Unternehmensinsolvenzen zu begrüßen. Denn im Rahmen von Insolvenzverfahren können die Unternehmen saniert und für die Zukunft neu aufgestellt werden, die leistungs- und finanzwirtschaftlich dafür geeignet sind. Auf der anderen Seite werden wiederum aber auch die Unternehmen vom Markt genommen, die eben keine positiven Zukunftsaussichten haben. Und das ist wiederum positiv für die Wirtschaft, denn nicht-überlebensfähige Unternehmen, die allzu lang (künstlich) am Leben erhalten werden, stellen eine große Gefahr für andere Unternehmen dar. Vor allem durch die fast unausweichlichen Zahlungsausfälle bei Marktteilnehmern in der Krise können gesunde Unternehmen schnell mit in den negativen Strudel gezogen werden: Sie investieren Dienstleistungen und Güter, ohne die notwendige finanzielle Gegenleistung zu erhalten.

Frühzeitig die Sanierung im Rahmen der Insolvenzordnung angehen

Es muss also darum gehen, zügig die Förderung einer sanierungsorientierten Insolvenzverwaltung anzugehen, will man die Wirtschaft wirklich schützen. Denn entgegen der landläufigen Meinung bedeutet die Insolvenz nicht das Ende, und der Unternehmer verliert nicht automatisch die Kontrolle über sein Unternehmen. Das liegt daran, dass das seit 1999 geltende Insolvenzrecht (Insolvenzordnung – InsO) einen Schwerpunkt darauflegt, einen insolventen Rechtsträger zu sanieren, und dafür zahlreiche Instrumente bereitstellt. Es ist nur sehr wichtig, hiermit rechtzeitig zu beginnen und den Insolvenzantrag früh genug zu stellen, damit zum einen keine Sanierungsmöglichkeiten verpasst werden, zum anderen nicht bereits eine Haftungssituation für den Geschäftsführer eingetreten ist, die sich mit weiterem Zeitablauf verschlimmert.

Wer frühzeitig nach den Sanierungsinstrumenten im Rahmen der Insolvenzordnung greift, erhält eine interessante Möglichkeit, eine neue Zukunft für das Unternehmen zu erarbeiten. Im Fokus steht der Insolvenzplan beziehungsweise das Insolvenzplanverfahren. Im Kern stellt das Insolvenzplanverfahren einen meist vom Insolvenzverwalter erarbeiteten und administrierten Vergleich dar, durch den sowohl die Gläubiger bestmöglich befriedigt werden sollen als auch das Unternehmen erhalten bleiben soll. Das Insolvenzplanverfahren bietet sich immer dann an, wenn die Substanz und Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens grundsätzlich gegeben ist, insbesondere, wenn eine extrinsische Verwerfung für erhebliche Schäden gesorgt hat.